auf mehrfachen Wunsch hier folgend eine etwas ausführlichere Erklärung zu unserer inneren Architektur, sprich: Inhalt
mehrfach- kodierte Werktypen
Ein kodierter Werktyp ist z. B. Malerei: In der bildenden Kunst gibt es Codes, die zu lesen sind und die benutzt werden, um den Inhalt eines Bildes 1:1 zu übertragen. Der einfachste und bekannteste ist sicherlich die blaue Kleidung einer Frau als Mariendarstellung.
Damit wäre in einer Gruppe von Frauen die Jungfrau Maria exponiert, man muß es also nicht mehr dazu schreiben, daß die dritte von links die Jungfrau Maria ist.
Weiter führt so etwas dann z. B. als Dreiergruppe: Mutter, Frau, Kind als Heilige Familie; auch in der modernen Malerei wird dies benutzt, da es kodiert ist, also sofort erkenntlich und auch nicht gegen an gearbeitet werden kann.
Codes gibt es viele, sie werden benutzt und können komplexe Inhalte aufbauen in einem Bild, wobei für die Moderne gesagt werden muß, hier geht es um Tafelbilder oder deren Anlehnungen.
Diese Kodierung gibt es auch in der Musik, auch hier sei eine berühmte Kodierung genannt: das Dies Irae; In einem Requiem, egal wann komponiert, ob zu Mozarts Zeiten (in seinem Requiem finden Sie ein großartiges Dies Irae, ebenso bei Verdi) oder heute, – es muß kommen, da es im Inhalt eines Requiems verankert ist, desgleichen ist die Tonfolge festgelegt, also kodiert. Ein Musikhörer weiß sofort, -auch ohne Text (so taucht es z. B. als bekanntes Motiv in Berlioz‘ Sinfonie fantastique auf),- um den Inhalt aufgrund des zitierten Dies Irae, welches aus der mittelalterlichen Sequenz überliefert ist.
In der Literatur ist eines der berühmtesten Beispiele eines kodierten Werkes bei James Joyce zu finden. Im Ulysses übernimmt er die Technik des Epos, die Personen sind stereotyp und den Zuhörern bekannt. (Man mußte keinem in der Antike einen Agamemnon oder Achill erklären). Man braucht bei dieser Technik keine (lange) Exposition, die die Charaktere einführt, diese sind gesetzt.
Joyce führt keine einzige seiner Figuren im Ulysses auktorial ein; sie alle sind durch die Verwendung der Folie des homerischen Odysseus bekannt und dadurch gesetzt. Ein großer Reiz liegt nun natürlich in der Transposition der homerischen Heroen ins Dublin von 1904, mit all ihren nicht so heroenhaften Fehlern und Problemchen.
Noch komplexer finden Sie dies bei der Erzählung Caliban über Setebos von Arno Schmidt.
Somit hat jede dieser drei Künste, bildende Kunst, Musik und Literatur ihren eigenen semantischen Raum, um dies nun mal etwas deutlicher zu benennen.
Die Malerei hat kein Dies Irae, die (reine) Komposition kein Epos, und die Literatur hat keine Tonfolgen. (Proust kämpft damit, aber auch Beckett). Arno Schmidt muß sogar die Orthographie aufbrechen, um seine komplexen Kodierungen unterzubringen. (Joyce übrigens auch; schon beginnend im Ulysses, aber berühmt in seinem Finnegans Wake) und in München brandaktuell zeitgenössisch gerade zu sehen und zu hören und zu lesen bei Elfriede Jelinek.
Sprachen sind also als semantische Räume zu betrachten, eine übliche Benennung: die Sprache der Malerei, Sprache der Musik, die Sprache der Literatur.
Hier gibt es keine Schnittmengen, es sei denn, die Malerei fügt Wörter in ihre Bilder, die Musik vertont Sprache, die Literatur fügt Bilder ein oder Musik; Beispiele gibt es dazu genug.
Wir fügen in unserer Arbeit nun diese drei semantischen Räume (Sprachen) zusammen, wobei jeweils die Quelle für sich bleibt.
Bildende Kunst in Form des Bühnenaufbaus und der erscheinenden Bilder hat ihren Fundus in ihrer Sprache: kurzum, es wird zitiert: der Bühnenaufbau ist klassisch, über die Zitierung des Chores und eines Schauspielers (hier die Musen, in welcher Form sie auch immer auftauchen, und die Sängerin, bzw. der lesende Schauspieler). Eingespielte Bilder können nur als Zitate funktionieren, da wir weder die Zeit noch die Lust auf eine Exposition haben; des Saengers Phall entwickelt sich ja bei Arno Schmidt auf zwei deutlichen Folien, eine davon ist Orpheus (Saengers Phall) und eine ist Euripides‘ Backchen.
Wir zitieren noch Brechts episches Drama, usw…
Die Musik bleibt in ihrer schon in München aufgeführten Komposition; sie wird also nicht illustrativ eingesetzt, um eine bestimmte Stimmung für die Bühnenhandlung zu erzeugen, sondern sie bleibt genauso selbstständig wie die bildende Kunst und die Literatur, die ganz klassisch vorgelesen wird.
Zitate werde von den Zuschauern in unterschiedlicher Weise in Bezug gebracht, und der Inhalt wird ja nicht eindimensional erzählt, sondern mehrdimensional in der Gegenüberstellung verschiedener Zitate entwickelt. Diese Grauzone ist genau die Technik der Gesamterarbeitung der Arbeit.
(Letztendlich werden Artefakte gegen Artefakte gestellt, diese sind mehr oder weniger bekannt und können dadurch erkannt und inhaltlich zusammengestellt werden).
Was wir in unserer Arbeit aber machen, ist, daß wir genau diese Technik als Folie benutzen und nicht den Inhalt. Wir erzählen nicht, wir stellen dar. Unsere künstlerische Diskussion ist also das Ausloten der Möglichkeiten in einem vorgegebenen (und sehr engen) Korsett: Caliban über Setebos; dieses wird auch gebraucht, da es sonst beliebig wäre.
Man kann es an der kaskadenartigen Verarbeitung des Arno Schmidt Textes von Kathleen Furthmann sehen. Am Isolieren einzelner Wörter durch die Komposition von Reiko Füting, durch die Isolierung einzelner Bilder bei mir.
Ganze Sätze transportieren Inhalt, einzelne Wörter schon starke Bedeutungen, diese erzwingen Bilder durch ihre Bloßstellung, sind aber nahe dran, auch zu einem Laut zu werden; dieser wäre dann der Musik verwandter als der Literatur. (Als Beispiel eines sich gegeneinander Bestreitens).
Ein plakatives Beispiel ist das Wort Hiroshima: da gehe ich mal davon aus, daß man beim Hören oder Lesen dieses Wortes nicht zuerst an eine Sushi Bar denkt, es sei denn, man war mal dort, was auf einfache Weise die Mehrschichtigkeit einzelner Wörter aufzeigt.
Jeder von uns dreien arbeitet mit dieser Technik in seinem Bereich, seiner Disziplin, Sprache, seinem semantischen Raum – nennen wir es wie wir wollen; bei Saengers Phall bringen wir die Sprachen zusammen und öffnen dadurch die innere Struktur, machen also genau dieses sichtbar.